Wenn der Lesehund lauscht
ÖHRINGEN Neues Angebot der Stadtbücherei soll Selbstvertrauen bei Kindern stärken 
Von Regina Koppenhöfer 
Auf einem roten Sitzsack hat Finn-Luca es sich gemütlich gemacht. In den Händen hält der Neunjährige sein Lieblingsbuch. Mit ruhiger Stimme liest der Grundschüler aus einer Detektivgeschichte vor. Das Besondere daran: Finn-Luca liest die spannende Geschichte nicht irgendwem vor. Das Publikum des Buben ist vierbeinig und hat ein getupftes Fell: Dalmatinerhündin Jada hat es sich zu den Füßen von Finn-Luca auf ihrer Hundedecke gemütlich gemacht und lauscht nun dem Grundschüler, schon bald aber kuschelt Jada sich gemütlich auf ihre Decke und dämmert vor sich hin. 
Dass Kinder einem Hund vorlesen, das ist ein ganz neues Angebot der Stadtbücherei Öhringen. Die Aktion namens Lesepfötchen wird von Bücherei-Mitarbeiterin und Buchhändlerin Andrea Kieber durchgeführt. Kieber ist neben ihrer Tätigkeit in der Stadtbücherei auch Züchterin von Dalmatinerhunden und das Frauchen von Jada. Gleichzeitig ist Kieber auch die Initiatorin des neuen Angebots. „Jada kennt Vorlesen. Sie ist mit unseren Kindern aufgewachsen und sobald wir uns gemeinsam zum Lesen hingesetzt haben, war sie mittendrin“, erzählt die zweifache Mutter. 
Wesenstest Irgendwann hatte Andrea Kieber die Idee, jungen Besuchern der Stadtbücherei ebenfalls die Chance zu geben, einem Hund etwas vorzulesen. Dass ihre Dalmatinerhündin für das Vorlese-Angebot gut geeignet ist, weiß Kieber, da Dalmatiner „gelehrig und breit einsetzbar“ seien. Im Rahmen ihrer Zuchthundeausbildung habe Jada zudem einen Wesenstest mit Bravour bestanden. Mit ihrem angenehmen, freundlichen Charakter sei die Hündin gut gerüstet für ihre Aufgabe als Lesehündin. 
Hemmungen Zur inhaltlichen Idee des Lesepfötchen-Angebots erklärt Andrea Kieber, dass das neue Angebot keine Leseförderung sei. Die Aktion richte sich vielmehr an Kinder, „die lesen können, aber Hemmungen haben, laut vorzulesen“. Die Kinder sollen ihr Selbstvertrauen beim Vorlesen stärken – und hier nun kommt Jada ins Spiel: Die Hündin sei eine geduldige Zuhörerin und strahle „Sicherheit und Gelassenheit“ aus. Das übertrage sich auf die Kinder, erklärt Kieber. Die Buchhändlerin weiß dies aus eigener Erfahrung, aber auch durch eine Qualifizierung, die sie im Vorfeld des neuen Angebots absolviert hat. Dabei erfuhr Kieber etwa auch, dass Endorphine, also Glückshormone, bei Kindern ausgeschüttet werden, wenn diese einem Hund vorlesen. Alles in allem sei das Vorlesen mit Hund also förderlich. „Ich hoffe, dass die Kinder durch Lesepfötchen gestärkt in ihren Schulunterricht rein gehen“, so Kieber. 
Damit das im Deutschunterricht in der Schule dann auch wirklich klappt, wird in einer gemütlich gestalteten Ecke des Alten Ratssaals aber erst einmal das laute Vorlesen gemeinsam mit Jada geübt. Die 30-minütigen Sitzungen folgen immer dem gleichen Muster: Zu Beginn gibt es eine Begrüßungsrunde mit Kuscheln und Streicheln. Kinder und Hund genießen das gleichermaßen. Dann geht es ans Vorlesen. Die Mädchen und Jungen bringen dafür eines ihrer Lieblingsbücher von zu Hause mit. Wer mag, kann sich beim Vorlesen auch mit der Bücherei-Mitarbeiterin abwechseln. Zum Schluss darf jedes Kind noch ein bisschen mit Jada spielen und sie mit Leckerlis belohnen. 
Vorteile Finn-Lucas Mutter Heike Tagscherer sieht die Vorteile von Lesepfötchen. Sie verrät, dass ihr Filius daheim eher mit Unwillen lese, bei Jada in der Stadtbücherei sei dies indes ganz anders. „Er war so positiv nach dem letzten Mal,“ sagt die Verrenbergerin. Familie Tagscherer besitzt auch einen Hund. Heike Tagscherer lässt sich von Lesepfötchen inspirieren: Sie plant künftig nun auch für zu Hause Lesezeit gemeinsam mit dem Sohn und mit Golden Retriever Finley ein. Eine schöne Idee, findet BüchereiMitarbeiterin Andrea Kieber. Sie sieht, welche Freude dem Neunjährigen das Vorlesen in der Bücherei bereitet. Finn-Luca verrät dann auch, warum: „Weil die Jada neben mir sitzt und mich manchmal auch anstupst – und weil es mit ihr mehr Spaß macht.“ 
„Ich hoffe, dass die Kinder durch Lesepfötchen gestärkt in ihren Schulunterricht reingehen.“ 
Andrea Kieber